NFM 10-12-2020
Neue Messel-Schlange

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RAGERYX SCHMIDI

Neu beschriebene Messel-Art ehrt Dietmar Schmid


Eine Schlange aus der Grube Messel zeigt uns, dass auch kleine kaltblütige Wirbeltiere im Eozän von Nordamerika nach Europa wanderten. Und ihr Körperbau weist sie als Zwischenstufe der Evolution zu jenen Schlangen aus, die im Sand vergraben leben. Aufregende Erkenntnisse, die am Computertomografen gemacht wurden – und ein willkommener Anlass, sie nach dem langjährigen verdienten Senckenberg-Präsidenten Dietmar Schmid zu benennen.

Im Eozän gab es lebhafte Beziehungen zwischen Nordamerika und Europa. Die Temperaturen waren hoch, es war sehr warm und die Eiskappe auf Grönland existierte noch nicht. Über diese nördliche Route wanderten viele Arten in beide Richtungen und krempelten die jeweils heimischen Ökosysteme um. Dieser Austausch führte bis zum Ende des frühen Eozäns dazu, dass sich die Säugetiergemeinschaften auf den jeweiligen Kontinenten einander anglichen.

Auch kleine Wirbeltiere wanderten zwischen den Kontinenten

In Forschungskreisen wird zunehmend klar, dass durch diesen Austausch auch bei den kaltblütigen Wirbeltieren eine Gemeinsamkeit der Faunen entstand, die in der Kreidezeit unvorstellbar gewesen wäre (Smith et al. 2018). Nordamerikanische Gruppen wie Krustenechsen, Schleichen und Basilisken tauchen in Europa auf. Auch Einwanderungen aus anderen Gebieten sind in Europa belegt, wie etwa Krokodilschwanzechsen aus Asien (Smith 2017) und, wie erst vor Kurzem publiziert, Boas aus Südamerika (Scanferla & Smith 2020).

Eine weitere Schlange aus der 48 Millionen Jahre alten Grube Messel wird gerade beschrieben und zu Ehren des von 2008 bis 2012 amtierenden Präsidenten der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung Dietmar Schmid benannt (Smith & Scanferla, im Druck). Sie heißt Rageryx schmidi. Der Gattungsname ehrt den verstorbenen Experten für fossile Schlangen Jean-­Claude Rage, wobei „eryx“ der griechischen Mythologie entstammt und für Sandboas häufig verwendet wird.

Schädel zeigt Verwandtschaft an Rageryx schmidi war mit ihrer Gesamtlänge von 52 Zentimetern eine kleine Art. Das Fossil ist fantastisch erhalten, lediglich ein paar kleine Abschnitte der Wirbelsäule fehlen. Wie viele kleine Schlangen war sie wohl nicht in der Lage, große Beutetiere zu verschlingen, dazu passt der Schädelbau nicht. Sie ernährte sich eher von Wirbellosen und gelegentlich kleinen Wirbeltieren wie Lurchen. Merkmale des relativ ursprünglichen Schädels zeigen, dass Rageryx schmidi nicht mit altweltlichen, sondern mit neuweltlichen Sandboas verwandt ist, wie etwa der Gummiboa Charina bottae.

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Die heutige Gummiboa, Charina bottae, aus dem nordamerikanischen Westen. Foto mit freundlicher Unterstützung von Gary Nafis.

Schwanz wie eine Sandboa…

Der Schwanz ist mit regelmäßigen zusätzlichen Auswüchsen der Wirbelkörper versehen. Auch das ist ein eindeutiges Merkmal der Sandboas. Womöglich ist es eine Anpassung zur Stärkung des Schwanzes, denn heutige Sandboas verwenden die unterschiedlich gefärbte Schwanzspitze als Köder und lenken Angriffe von Raubtieren oder ihrer Beute vom Kopf auf den Schwanz ab.

…Innenohr wie eine Eidechse

Die heute lebenden Sandboas verbringen viel Zeit unterirdisch, etwa in Erdbauten, und weisen viele Anpassungen im Schädel auf, die für eine grabende Lebensweise dienlich sind. Erstaunlicherweise zeigt der Schädel von Rageryx schmidi keine davon. Auch das Innenohr sieht wie das einer typischen Eidechse aus, nicht wie jenes eines Gräbers. Höchstwahrscheinlich verbrachte Rageryx schmidi daher die meiste Zeit verdeckt auf der Erdoberfläche (Scanferla & Smith 2020).

Fossile Sandboas falsch zugeordnet?

Kleine fossile Schlangen nordamerikanischer Fundstätten wurden in den vergangenen Jahrzehnten sehr häufig den Sandboas (früher „Erycinae”) zugeordnet. Jedoch sind von all diesen Schlangen lediglich Wirbelknochen überliefert. Eine kritische Überarbeitung dieser Funde (Smith 2013) konnte keinen konkreten Beweis dafür erbringen, dass Reste zu den Sandboas gehören, die älter sind als etwa 20 Millionen Jahre (Miozän). Weil Rageryx schmidi aus Nordamerika im frühen Eozän – also vor mindestens 48 Millionen Jahren – einwanderte, lässt sich schlussfolgern, dass die Sandboas dort mindestens so alt sind – und wir wissen nun, wonach wir in der „Neuen Welt“ zu suchen haben.

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CT-Modell des rechten Innenohrs.

Literatur

Scanferla, A. & Smith, K.T. (2020): Exquisitely preserved fossil snakes of Messel: insight into the evolution, biogeography, habitat preferences and sensory ecology of early boas. – Diversity 12: 100.

Smith, K.T. (2013): New constraints on the evolution of the snake clades Ungaliophiinae, Loxocemidae and Colubridae (Serpentes), with comments on the fossil history of erycine boids in North America. – Zoologischer Anzeiger 252: 157–182.

Smith, K.T. (2017): First crocodile-tailed lizard (Squamata: Pan-Shinisaurus) from the Paleogene of Europe. – Journal of Vertebrate Paleontology 37: e1313743.

Smith, K.T. & Scanferla, A. (im Druck): A nearly complete skeleton of the oldest definitive erycine boid (Messel, Germany). – Geodiversitas.

Smith, K. T., Čerňanský, A., Scanferla, A. & Schaal, S. F. K. (2018): Echsen und Schlangen – wärmeliebende Sonnenanbeter. – In: Schaal, S.F.K., Smith, K.T. & Habersetzer, J. (Hrsg.): Messel: Ein fossiles Tropenökosystem. Stuttgart: Schweizerbart. 122–147.

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Der Autor PD Dr. Krister Smith kam 2008 von der Yale University als Postdoc zu Senckenberg und ist seit 2011 als Fachbereichsleiter Paläoherpetologie tätig. Er interessiert sich besonders für die Paläobiologie von Schlangen und Echsen.